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Das Projekt Kinderwelten – Ein kleiner, bescheidener und entscheidender Beitrag zur Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft

Christa Preissing (BEKI Berliner Kita-Institut für Qualitätsentwicklung, INA gGmbH)

Das Konzept Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung greift große gesellschaftliche Aufgaben und Herausforderungen auf und stellt sie in einen pädagogischen Zusammenhang. Paulo Freire nennt dies generative Themen für die Entwicklung pädagogischer Konzepte.

Die gesellschaftlichen Herausforderungen drängen sich angesichts der weltumfassenden aktuellen politischen Ereignisse geradezu auf: Irak, Iran, Afghanistan, die Ölpest, die Verlängerung der Laufzeit für Atomkraftwerke; HIV / Aids und weitere Seuchen; erhebliche Migrationsbewegungen aus dem Süden und Osten als Migration von Unterpriviligierten in die noch immer mächtigen Finanzzentren des Nordens und des Westens; zunehmend auch Migration von nordwestlichem Kapital einschließ-lich ihrer DIN EN ISO qualitätsgeprüften Repräsentanten und eine damit einhergehende neue Koloni-alisierung des Südens und des Ostens – da gäbe es noch Vieles mehr zu benennen: Besonders auch der sozialpolitische Kahlschlag, der hier in Deutschland von der sogenannten christlich-liberalen Koa-lition am vergangenen Wochenende beschlossen wurde.

Es geht um nicht weniger als um die Sicherung von elementaren Lebensbedingungen und um die Verhinderung von weiteren Kriegen angesichts der extrem ungleichen Chancen für bestimmte Perso-nengruppen am gesamt-gesellschaftlichen Reichtum teilhaben zu können. Das ist jeweils auf nationa-ler Ebene, also hier für die Bundesrepublik Deutschland und auf internationaler Ebene mit ihrem Nord-Süd und West-Ost-Gefälle zu analysieren.

Bildung gilt unbestritten als die Möglichkeit der Emanzipation, also der Befreiung von unterdrücken-den, benachteiligenden und diskriminierenden Mechanismen, für diejenigen, die nicht von vorneher-ein zu einer privilegierten Gruppe gehören. Privilegiert sind diejenigen, die durch Geburt bereits Mit-glieder einer der dominanten Gruppen der Gesellschaft sind und bereits dadurch Einfluss und Macht haben.

Wenn die Zugangsmöglichkeiten zu einer qualitativ hochwertigen Bildung jedoch bereits bestimmt werden von der sozialen Herkunft, wie es in der Bundesrepublik Deutschland wie auch in manch an-deren Ländern der nordwestlichen Welt und in allen Ländern der süd-östlichen Welt erwiesenerma-ßen der Fall ist, dann müssen wir an diesen Zugangsmöglichkeiten ansetzen.

Die Welt ist inzwischen ein Dorf. Menschen aus allen Regionen dieser Welt leben hier und jetzt in Berlin, in Jena, in Stuttgart, Bremen und Hannover– ebenso in London, Paris, Pasadena, Melbourne, Athen, Utrecht und Gent… . Und sie haben ungleiche Möglichkeiten, die Chancen eines öffentlich finanzierten Bildungssystems in Anspruch zu nehmen.

Sie haben auch sehr ungleiche Möglichkeiten, selbst Einfluss darauf zu nehmen, wie das Bildungssys-tem und die pädagogischen Konzepte aussehen müssten, damit Kinder aus nicht privilegierten Grup-pen ihre Potentiale bestmöglich entwickeln und in die neu wachsenden Gesellschaften einbringen können.

Das System der Bildung, Erziehung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen in Deutschland si-chert Kindern und ihren Eltern im Prinzip hohe Beteiligungsmöglichkeiten sowohl an der Ausgestal-tung der pädagogischen Arbeit als auch an der Ausgestaltung der Angebote, also der Art der Kitas. Alle Eltern haben in Deutschland im Prinzip die Möglichkeit, im Rahmen der immer noch recht offe-nen gesetzlichen Vorgaben zu bestimmen, wie konkret die öffentliche Bildung, Erziehung und Be-treuung ihrer Kinder ausgestaltet werden soll.

Frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung rückt damit ins Zentrum des Interesses für die Ent-wicklung einer inklusiven Gesellschaft. Denn die elementaren Erfahrungen von Kindern und ihren Eltern in der ersten Stufe des Bildungssystems werden entscheidenden Einfluss darauf haben, ob Kinder und Eltern diesem System vertrauen und es als Chance für ihre eigene Emanzipation erleben, verstehen und nutzen können.

Kinderwelten als ein Projekt des Instituts für den Situationsansatz innerhalb der Internationalen Aka-demie für innovative Pädagogik, Psychologie und Ökonomie an der FU Berlin, macht deutlich, dass die pädagogische Aufgabe der Bildung und Erziehung von Kindern verstanden wird als pädagogische und politische Herausforderung. Das braucht ein psychologisches Verständnis von der Herausbildung selbstbewusster Identitäten und es braucht den Blick in die politische Ökonomie. Zu diesem Blick in die politische Ökonomie gehört die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Kompetenzen welche Kinder heute benötigen, um die Herausforderungen ihres Lebens selbstbestimmt, solidarisch und kompetent anzunehmen und produktiv zu bearbeiten.

Die großen Fragen dieser Welt, auf die eben nicht nur die jeweils verfasste Partei-Politik, sondern auch Pädagog_innen, Psycholog_innen, das Bildungssystem, die Wirtschaft, die Familien- und Sozial-politik Antworten finden müssen, sind die Fragen der Migration und der Sicherung der natürlichen Ressourcen.

Diese beiden zentralen Fragen stehen selbstverständlich in einem Zusammenhang und müssen ins Zentrum des Bildungsgeschehens rücken. Der Situationsansatz als ein Konzept zur Curriculument-wicklung im Bildungswesen und als pädagogisches Handlungskonzept stellt solche „generativen Themen“ – so hat Paulo Freire das genannt – in den Mittelpunkt.

Kinderwelten hat hierfür wesentliche Reflexionshilfen entwickelt und zeigt eine Vielzahl von pädago-gisch-praktischen Handlungsmöglichkeiten auf.

Es geht uns darum, jedes Mädchen und jeden Jungen, ihre Eltern und die ihnen verbundenen Erzie-herinnen und Erzieher darin zu ermutigen und zu stärken, in Solidarität und gemeinsam mit all den-jenigen, etwas dazu beitragen wollen und können, intelligente und kreative Antworten auf die unge-lösten Fragen unserer Zeit zu erfinden.

Pädagogik und auch die beste Bildungspolitik werden niemals in der Lage sein, die großen politischen Fragen zu lösen.

Das entbindet pädagogische und bildungspolitische Diskurse allerdings nicht davon, sich zu den gro-ßen politischen Fragen in Beziehung zu setzen, zu prüfen, welchen auch noch so kleinen und be-scheidenen Beitrag wir an unserem jeweiligen Handlungsort leisten können und sich zu positionie-ren.

Kinderwelten positioniert sich eindeutig für:

  • Die Stärkung der Bildungschancen aller Mädchen und Jungen
  • Die Ermutigung aller Mütter und Väter, sich am Bildungsgeschehen ihrer Kinder zu beteiligen
  • Eine entsprechende Qualifizierung der Erzieherinnen und Erzieher und der für ihre Ausbildung zuständigen Lehrkräfte
  • Eine gesellschaftliche Aufwertung dieser Personengruppen, also der Kinder, der Eltern und der Pädagoginnen und Pädagogen und die öffentliche ideelle und materielle Anerkennung ihrer Leis-tungen für die Gesellschaft

Zum heutigen Auftakt der Fußball-WM passen dann meine Wünsche und meine Definition der Her-ausforderungen für die Zukunft – nach zehn Jahren Kinderwelten und fast 15-jährigem Wirken des Europäischen Netzwerks DECET, in das Kinderwelten von Geburt an eingebunden ist:

  • Engagieren wir uns für die Austragung einer WM für die Entwicklung inklusiver Gesellschaften in allen Kontinenten!
  • Gewinnen wir wirkmächtige Medien dafür, uns finanzkräftige Sponsoren zu besorgen!
  • Bleiben wir dabei korruptions- und dopingfrei!
  • Seien wir realistisch und versuchen das Unmögliche!

Tausend Menschen heute hier – ein sehr kleiner, bescheidener und großartiger Anteil der Weltbevöl-kerung – entscheidend für Bewegungen, die an Kraft gewinnen werden. Danke deshalb, dass Ihr Alle hier seid.