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Filmbeispiele aus Kita und Schule als Impulse für Reflexions- und Diskussionsrunden

Seyran Bostancı & Anja Jungen, Fachstelle KINDERWELTEN, ISTA/ INA gGmbH

Einleitung

Wir haben am Vormittag ein Beispiel zu Partizipation im Kontakt zwischen einer Erzieherin und einem Kind gesehen. In diesem Teil möchten wir Ihnen drei Filmbeispiele aus der Kita und der Schule vorstellen, die Partizipationsprozesse von Kindern zeigen. Hierbei wird es jeweils um Gruppenprozesse gehen und welche verschiedenen Formen der Beteiligung in diesen zu finden sind.

Obwohl es möglicherweise ein Leichtes wäre, die ausgesuchten Szenen und die Rolle der pädagogischen Fachkräfte an einigen Stellen zu kritisieren, soll der Fokus nicht darauf gelenkt werden. Es geht weder um best practice noch darum, die gezeigte Praxis zu kritisieren. Im Gegenteil, wir sind froh darüber, dass es Materialien gibt, an denen wir die Verschränkung von Partizipation und Inklusion zeigen können.

Die Filmbeispiele dienen als eine Art „Übungsfläche“, anhand derer wir eingeladen sind, unseren kritischen Blick zu schärfen, um Einseitigkeiten in unseren Partizipationsangeboten auf die Spur zu kommen.

Filmbeispiel 1: „Kuschelraum“

Das erste Filmbeispiel spielt sich im Kuschelraum einer Kita ab. Wir werden einen Erzieher sehen, der die Kinder in einen Gesprächskreis eingeladen hat, da er beobachtet hat, dass es in dem Kuschelraum häufig zu Streitigkeiten gekommen ist. In der Diskussion dieser Filmsequenz im Kinderweltenteam sind wir dahin gelangt, dass es hilfreich ist, diese Sequenz etappenweise zu analysieren. Deswegen haben wir uns Fragen ausgesucht, die zunächst den Fokus auf die Kinder, dann auf die pädagogische Fachkraft und anschließend auf den Zusammenhang von Inklusion und Partizipation legen.

Fragen an die TN:

  1. Auf welche Weise beteiligen sich die Kinder?
  2. Wie unterstützt der Erzieher die Beteiligung der Kinder?
  3. Wenn wir mit einem inklusiven Blick auf die Szene schauen: Beteiligen sich alle Kinder?

Kommentar

Zu 1) Auf welche Weise beteiligen sich die Kinder?

Im Filmbeispiel sehen wir eine Gruppenentscheidung in einer Alltagssituation. Alle Kinder werden vom Erzieher in einem bewusst eingesetzten Setting, dem Gesprächskreis, aufgefordert, zu dem Konflikt im Kuschelraum Stellung zu beziehen. Die Kinder machen daraufhin Vorschläge und es kommt zu einer Entscheidung, den Kuschelraum umzuorganisieren, diese Entscheidung wird von ihnen auch sofort umgesetzt (sie verteilen die Matratzen etc.). Es geht um etwas, das die Kinder tatsächlich angeht, unter ihnen kommt es zu einer Entscheidung, die der Erzieher akzeptiert. Es ist also keine „Scheinpartizipation“, etwa weil das Ergebnis bereits feststeht, oder weil Erwachsene die Entscheidung in die von ihnen für gut befundene Richtung manipulieren oder, weil die Entscheidung keine Konsequenzen hat.

Die Kinder bekommen formal den Raum, ihre Meinungen kund zu tun, jedes Kind hat grundsätzlich die Möglichkeit, etwas zu sagen. Die Kinder beteiligen sich entsprechend ihrer eigenen Fähigkeiten. Manche Kinder sind ganz aufgeregt beim Einbringen ihrer Meinung und sehr schnell in ihrer Situationsanalyse und im Finden von Lösungsvorschlägen, andere Kinder halten sich eher im Hintergrund und nicken zum Gesagten, manche schweigen und verfolgen die Diskussion. Es scheint, als ob alle Kinder sich auf ihre eigene Art und Weise im Gesprächskreis einbringen.

Außerdem scheint es, als ob die Kinder bereits Partizipationskompetenzen erworben haben und vertraut mit solchen Möglichkeiten sind, ihre Meinung einzubringen sowie gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Sie kennen den Ablauf eines solchen Settings: Sie sitzen still im Kreis und hören zu, was der Erzieher mit ihnen besprechen will. Außerdem hören die Kinder einander zu und lassen sich gegenseitig ausreden. Darüber hinaus nehmen sowohl jüngere als auch ältere Kinder am Gespräch teil und sind somit in den Partizipationsprozess eingebunden.

Zu 2) Wie unterstützt der Erzieher die Beteiligung der Kinder?

Der Erzieher hat eine Unstimmigkeit in der Gruppe festgestellt. Seine Entscheidung ist es, seine Beobachtung in der Kindergruppe zur Diskussion zu stellen und diese mit den Kindern abzugleichen. Er lädt die Kinder zu einem Gesprächskreis ein und signalisiert ihnen damit, dass er ihnen zutraut, eigene Gedanken zur Situation beizutragen und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Durch die Einladung zu einem Gesprächskreis ermutigt der Erzieher die Kinder, ihre Interessen und Bedürfnisse auszudrücken und mit anderen auszuhandeln. Das tut er auch, indem er eine offene Frage stellt und offen für den Ausgang der Diskussion ist. Damit signalisiert er ebenfalls, dass es tatsächlich um die Meinungen und Gedanken der Kinder geht und dass er nicht, weil er der Erwachsene ist, die Antwort besser weiß. Dies unterstreicht er damit, dass er die Kinder auffordert, die Entscheidung sofort in die Tat umzusetzen. Er trägt die Entscheidung mit.

Auch konnten wir sehen, dass der Erzieher im Kreis mit den Kindern sitzt und somit auf Augenhöhe kommuniziert. Auf diese Weise signalisiert er, dass er sie ernst nimmt und unterstützt sie dadurch bei der Beteiligung an der Diskussion. Dabei wirkt er ruhig, unaufgeregt und routiniert.

Zu 3) Wenn wir mit einem inklusiven Blick auf die Szene schauen: Beteiligen sich alle Kinder?

Aus Gruppenprozessen wissen wir, dass es immer Kinder gibt, die sich eher in den Vordergrund stellen und körperlich präsent sind und andere wiederum, die eher zurückhaltend und im Hintergrund sind. Die Berücksichtigung gruppendynamischer Prozesse kann bei der Überprüfung helfen, ob unser Angebot allen Kindern die Möglichkeit zur Partizipation eröffnet. In der Szene sehen wir, dass die älteren Kinder sich stärker einbringen als die jüngeren. Woran könnte das liegen?

Das „Medium“ für die Beteiligung ist in diesem Filmbeispiel hauptsächlich die gesprochene Sprache. Das Partizipationsangebot findet als festgelegte Form eines Gruppenkreises in einem bestimmten Setting statt, in dem die Kinder die „kulturellen Codes“ wie das Zuhören, das Stillsitzen und sich verbal mit der Sprache einzubringen, „beherrschen“ müssen. Ältere Kinder, die sich sprachlich besser ausdrücken können, sind dann im Vorteil und alle Kinder können die Botschaft erhalten, dass man erst „groß“ genug oder „laut“ genug sein muss, um seine Meinung bzw. sein Interesse durchsetzen zu können. Diejenigen, die diese Kompetenzen haben, machen die bestärkende Erfahrung, dass sie sich durchsetzen können (Selbstwirksamkeitserfahrungen). Sie entwickeln permanent ihre sprachlichen, kognitiven und sozialen Kompetenzen weiter. Sie fühlen sich zugehörig und identifizieren sich mit dem Ganzen, weil es ihre Spuren trägt. Sie durchlaufen Bildungsprozesse, wie wir sie uns wünschen. Also aktive Aneignungstätigkeiten, mit denen sie sich ein Bild von der Welt machen.

Aber was ist mit denjenigen, die sich sprachlich nicht so gut ausdrücken können? Für sie besteht die Gefahr, dass sie im Prozess „abgehängt“ werden: Sofern sie ihre Interessen mit den Vorgängen nicht verbinden und demzufolge keinen Beitrag dazu leisten können, bekommen sie auch keine positive Resonanz und verlieren schlimmstenfalls das Interesse und ihre Lernmotivation. In Bezug auf Partizipationsprozesse in altersgemischten Gruppen wird allerdings auch von Erfahrungen berichtet, dass junge Kinder Wesentliches über Beteiligung lernen, wenn sie bei solchen Prozessen mit dabei sind, auch wenn sie sich nicht mit denselben Mitteln einbringen können. Es ist ein eher beiläufiges Lernen, durch Beobachtungen, Nachahmung von bestimmten Handlungen, schrittweises Aneignen von Beteiligungsroutinen.

In Gruppen, in denen die sprachlichen Kompetenzen unterschiedlich verteilt sind, könnte es hilfreich sein, den Entscheidungsprozess zu verlangsamen. Dadurch könnten die jüngeren bzw. die nicht so „schnell“ reagierenden Kinder verstehen, was vor sich geht. Es könnte auch Kindern zu Gute kommen, die eine andere Erstsprache sprechen als die pädagogischen Fachkräfte und einem deutschsprachigen Gesprächskreis nicht gut folgen können. Verlangsamung geschieht dadurch, dass Prozesse kommentiert, zusammengefasst und strukturiert werden, also auf einer Metaebene beschrieben werden. Diese Aufgabe kommt den Erwachsenen zu. Auf die gerade gesehene Filmsequenz bezogen wäre es beispielsweise denkbar, dass der Erzieher die einzelnen Schritte des Entscheidungsprozesses sprachlich zusammenfasst und den Kindern rückmeldet, was der Gegenstand und Ausgang der Entscheidung ist. So könnte er beispielsweise sagen: „Wir haben entschieden, dass die Matratzen dorthin getragen werden können, wo wir sie haben möchten.“ Durch die leichte Modifizierung des Settings würden alle Kinder profitieren. Sie würden lernen, dass jede Stimme zählt und jede und jeder wichtig für die gesamte Gruppe ist. Sie würden die Erfahrung machen, dass Partizipation das Recht aller ist und nicht das „Vorrecht der Fähigen“.

Für inklusive Partizipationsprozesse ist es also wichtig, den Fokus auf die Fragestellung zu lenken, ob (wirklich) alle Kinder beteiligt sind und ob ich als Fachkraft wirklich alle Kinder einlade, sich zu beteiligen. Wie Petra Wagner bereits in ihrem Vortrag ausgeführt hat, erfordert der Inklusionsgedanke, die „most vulnerable groups“ in den Blick zu rücken, also diejenigen, die ein höheres Risiko tragen, ausgeschlossen zu werden. Der Blick mit der Inklusionsbrille auf Partizipationsprozesse lässt fragen, ob manche Kinder aus diesem sozialen Prozess ausgeschlossen sind. Welche Kinder sind es, die sich nicht beteiligen? Was hindert sie daran?

Wem fällt es leichter, sich zu beteiligen und was kann ich als Fachkraft tun, damit es allen Kindern leicht fällt, sich einzubringen?

Angesichts unterschiedlicher Zugänge und Voraussetzungen von Kindern sind unterschiedliche Beteiligungsformen und -methoden notwendig, um ihnen allen entsprechend ihrer Fähigkeiten und Bedürfnisse die Chance auf Beteiligung zu geben.

Filmbeispiel 2: „Spielplatz- und Raumgestaltung“

Das nächste Filmbeispiel zeigt eine Palette von unterschiedlichen Beteiligungsmethoden und -formen in altersgemischten Gruppen. Die Filmszene ist ebenfalls der DVD: „Die Kinderstube der Demokratie“ entnommen. In diesem Filmbeispiel handelt es sich um eine projektbezogene Beteiligung und zwar bei der Gestaltung des Spielplatzes eines Kindergartens und eines Kitaraumes. Das Partizipationsprojekt findet in einem zeitlich überschaubaren Rahmen statt und wird von Externen begleitet, die ein vielfältiges methodisches Repertoire einsetzen.

Kommentar

Warum haben wir Ihnen diese Filmbeispiele gezeigt?

Natürlich hat man als Kita selten die Möglichkeit, einen Spielplatz umzugestalten, das Beispiel könnte Manchen unter Ihnen daher realitätsfern erscheinen.

Uns geht es hier darum, unseren Blick auf die verschiedene Beteiligungsmethoden zu lenken. Diese können nämlich als Impulse für die Gestaltung alltäglicher Partizipation dienen, wie beispielsweise bei der Frage, wohin der nächste Ausflug gehen soll, was auf dem Essensplan stehen soll etc..

Im Unterschied zum ersten Filmbeispiel, in dem die Beteiligung hauptsächlich über das Medium Sprache lief, haben wir in diesen Szenen Partizipation über andere Medien, wie beispielsweise über Symbole, Fotos, Punktevergabe und Modelle (Nachbildung des Raums) gesehen. Diese verschiedenen Beteiligungsformen können insbesondere in altersgemischten Gruppen sehr hilfreich sein. Jüngere bspw. können auf diese Weise einen leichteren Zugang in das Gruppengeschehen finden. Auch konnten wir erkennen, dass die Partizipationsbeispiele in diesen Szenen sehr viel langsamer liefen. Die Botschaft, die die Kinder erhalten haben ist, dass jede Stimme, Meinung und Bedürfnis zählt.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, Kindern den Zugang zur Beteiligung zu erleichtern bzw. zu unterstützen. Allerdings ersetzt eine Vielzahl an Partizipationsmethoden nicht die prüfende Frage, ob ich wirklich allen Kindern die Partizipation ermögliche. Als pädagogische Fachkraft muss ich dennoch schauen, ob ich alle beteilige. Kann jeder sich zum Garten fortbewegen? Brauchen die Kinder eine Unterstützung beim Aufkleben ihrer Punkte? Stellt es ein Hindernis für sie da? Und wenn ja, was kann ich dafür tun, diesen Kindern die Beteiligung zu erleichtern?

Filmbeispiel 3: „Die Persona Doll Holly“

Das dritte Filmbeispiel zeigt eine Gruppe von Schulkindern in einem Gesprächskreis, der von der Persona Doll namens Holly besucht wird. Auch hier regen wir an, das Filmbeispiel anhand dreier Fragen daraufhin zu analysieren, wie Inklusion unterstützt wird.

Fragen an die TN:

  1. Welche Kompetenzen der Kinder sehen wir?
  2. Wie trägt die Lehrerin ihrerseits dazu bei, dass die Kinder diese Kompetenzen entwickeln?
  3. Wo sehen wir die Verbindung zwischen Inklusion und Partizipation?

Kommentar

Zu 1) Welche Kompetenzen der Kinder sehen wir?

Ähnlich wie in dem ersten Beispiel der Kitagruppe im Kuschelraum können die Kinder die von der Lehrerin geschaffenen Situation eines Gesprächskreises nutzen und ihre Meinungen zu einem Thema – hier die Ausgrenzungserfahrung der Persona Doll Holly – äußern. Es ist zu sehen, dass sie die Beteiligungsroutinen beherrschen: Sie sitzen im Kreis, sind ruhig und hören aufmerksam zu. Wer etwas sagen will, meldet sich. Sie lassen sich aussprechen. Sie bringen eigene Gedanken und Lösungsvorschläge zum Problem ein und lassen sich nicht entmutigen, wenn ihr Vorschlag nicht angenommen werden kann. Sie scheinen sicher zu sein, dass ihre Meinung gehört wird und wichtig ist. Es wird ersichtlich, dass sie mit Meinungsverschiedenheiten umgehen können.

Über diese Beteiligungskompetenzen hinaus zeigen sich die Kinder als überaus kompetente Gesprächspartner_innen zum Thema Ausgrenzung und Ungerechtigkeit: Die Kinder hören die Geschichte von Holly und können sie in ihrer Tragweite erfassen. Sie können sich in Hollys Situation hineinversetzen, gedanklich und gefühlsmäßig. Sie verbinden die Ausgrenzungserfahrung von Holly mit eigenen Erfahrungen, einmal ausgeschlossen gewesen zu sein und können von ihren eigenen Erfahrungen berichten. Die Kinder machen sich Gedanken über ungerechte Situationen und was man dagegen tun kann. Sie nehmen dabei Bezug auf Fairness-Regeln, die sie in der Klasse

Klasse bereits ausgehandelt haben. Auch formulieren sie eigene Ideen, wie man dazu beitragen kann, Gerechtigkeit herzustellen.

Sie scheinen bereits eine „Alphabetisierung in Bezug auf Werte“ durchlaufen zu haben, wie Tony Booth den Prozess von Werte-Aushandlungen nennt:

„Indem Menschen die Werte diskutieren, die sie ihren Handlungen und den Handlungen anderer zugrunde legen möchten, durchlaufen sie eine Art Alphabetisierung in Bezug auf Werte (value literacy) und werden zunehmend fachkundig in moralischen Diskussionen. In einem solchen Prozess kann sich herausstellen, dass manche Entscheidungen es erforderlich machen, einen Wert mit einem anderen Wert in eine Abwägung zu bringen, zum Beispiel wenn die Partizipation eines Kindes die Partizipation eines anderen Kinds beeinträchtigt. Zur Werte-Alphabetisierung gehört es, komplexe Urteile angesichts sich widerstreitender moralischer Argumente zu fällen.“ (Booth 2010, 6)

Zu 2) Wie trägt die Lehrerin ihrerseits dazu bei, dass die Kinder diese Kompetenzen entwickeln?

Das kompetente Handeln der Kinder in Bezug auf Beteiligung und ihr Engagement für Gerechtigkeit ist höchstwahrscheinlich Ergebnis und Ausdruck eines Lernprozesses, den die Lehrerin mit anregt und begleitet. Die folgende Darstellung von Kompetenzen der Lehrerin, mit denen sie unseres Erachtens den Lernprozess der Kinder ermöglicht, ist orientiert an der Expertise von Annika Sulzer und Petra Wagner zu „Inklusion in der Frühpädagogik“ (2011):

Methodenkompetenz:

Die Lehrerin schafft eine Möglichkeit der Beteiligung für alle Kinder mit einer klaren Struktur. Es ist zum einen der Gesprächskreis, der von der Lehrerin initiiert wird, um über eine Ausschlusssituation mit den Kindern zu reden und ihnen damit eine Lernsituation zu ermöglichen, wie in solchen Situationen gehandelt werden kann. Und zum anderen ist es der Vertrag, der in der Klasse erarbeitet worden ist. Auch hier war es Aufgabe der Lehrerin, diese Idee anzuregen und sie mit den Kindern umzusetzen.

Eine andere Methode, die die Lehrerin in die Kindergruppe einbringt, um mit ihr ein wichtiges Thema zu besprechen und die eine besondere Kompetenz der Gesprächsführung verlangt, ist die Persona Doll-Methode. Sie wendet damit eine Methode an, die beansprucht, eine partizipative Form anzubieten, in der alle beteiligt sind und es ermöglicht, Vielfalt ins Gespräch zu bringen und dabei auch schwierige Themen, wie Ausgrenzung, explizit zu machen. Das darin angewandte „naming my world“ – das Fragen und das Bezugnehmen auf die eigene Erfahrung – lädt die Kinder ein, eine Verbindung zwischen dem erzählten Beispiel und ihrem eigenen Erleben herzustellen. Dadurch haben sie einen Zugang zu ihren Gefühlen, der ihnen helfen kann, sich noch mehr in die Beispielperson hineinzuversetzen. Dies erleichtert dann den Schritt, sich Gedanken zu machen, wie eine Veränderung aussehen kann.

Für einen guten Beteiligungsprozess ist es daher auch wichtig, eine vertrauensvolle Atmosphäre aufzubauen, eine weitere Kompetenz der Lehrerin. Sie stellt den Rahmen her, in dem sich Kinder sicher und geschützt fühlen, um sich einzubringen, ihre Meinung zu äußern, von ihren Erfahrungen zu berichten und Lösungen anzubieten und in dem Kinder keine Sorge haben, dafür ausgelacht oder beschämt o.ä. zu werden.

Werteorientierte Handlungskompetenz:

Themen wie Ausgrenzung, Benachteiligung, Diskriminierung und Ausschluss sind oft Tabuthemen, die nur selten explizit angesprochen werden. In diesem Filmbeispiel können wir sehen, dass das Thema Ausschluss von der Lehrerin angesprochen wird, die gleichzeitig ihre Werte explizit macht: „Do not leave anybody out“ („Niemand darf ausgeschlossen werden“) – so heißt es im Vertrag der Klasse. Der Vertrag ist ein für alle geltendes und bindendes Recht, das auf inklusiven Werten basiert und das Miteinander in einer Gemeinschaft, in diesem Fall die Kindergruppe, strukturieren und regeln soll: Ausschluss soll verhindert und die Teilhabe aller ermöglicht werden. Deutlich wurde, dass der Vertrag auch belastbar ist. Er wurde in der Gruppe ausgehandelt und die Kinder konnten ihn auf eine neue Situation anwenden.

Fachkompetenz und Analysekompetenz:

Pädagog_innen müssen wissen, welche Menschen/ Gruppen von Menschen von Benachteiligung und Diskriminierung in der Gesellschaft eher bedroht sind als andere (most vulnerable groups). Gleichzeitig müssen sie vermeiden, bestimmte Gruppen per se als Opfer zu verstehen oder darzustellen.

Holly war im Filmbeispiel vorgestellt als ein Mädchen, das mit seiner Familie aus Russland nach Großbritannien eingewandert ist und Russisch sprechen kann. Dies hat aber in dem, was Holly in der Ausgrenzungssituation erlebt hat, keine Rolle gespielt. Warum das Mädchen ausgegrenzt wurde, bleibt unklar, wesentlich ist der Vorgang und dass Holly ihn als belastend und ungerecht empfindet.

Die Lehrerin unterlässt jegliche Ethnisierung in dem Beispiel, vielleicht auch, um keine falschen Kausalitäten zu konstruieren, die in den Kindern den Eindruck erwecken könnten, die Nationalität/Sprache/Ethnie eines Menschen sei ein irgendwie berechtigter „Grund“ für Ausschluss.

Selbstreflexionskompetenz:

Pädagog_innen brauchen die Reflexion ihres Handelns, indem sie sich fragen: Wie behandle ich wen in meiner Gruppe? Wen bevorzuge ich vielleicht? Wen nehme ich häufiger dran, wer fällt mir häufiger auf und in den Blick? Wen beteilige ich öfter als andere? Die Lehrerin hat ihren Gesprächskreis filmen lassen und damit die Möglichkeit der kritischen Reflexion ihrer Gesprächsführung geboten: Wen hat sie öfter antworten lassen, wen hat sie möglicherweise auch übersehen? Das Medium Film unterstützt die Überprüfung des eigenen fachlichen Handelns im Hinblick auf Einseitigkeiten und Voreingenommenheiten.

Zu 3) Wo sehen wir die Verbindung zwischen Inklusion und Partizipation?

Die Verbindung zwischen Inklusion und Partizipation ist in diesem Beispiel dadurch hergestellt, dass die Lehrerin einen Gesprächskreis initiiert und dadurch den Kindern Beteiligungsangebote schafft und gleichzeitig das Thema Ausgrenzung explizit zum Thema macht. Wir konnten bei der Lehrerin also beobachten, dass sie im Sinne des Situationsansatzes das Prinzip der Einheit von Inhalt und Form bewusst praktiziert, das heißt, sie hat partizipative Formen mit dem Anspruch zusammengebracht, inklusiv zu handeln, indem sie eine Diskussion um Inklusion und Exklusion anregt.

Der Gesprächskreis, in dem die Möglichkeit gegeben wird, dass sich alle Kinder mit ihren Gedanken einbringen können, und der deutlich macht, dass alle Kinder dazugehören in ihrem Sosein mit ihren unterschiedlichen Äußerungen, zeigt eine gut entwickelte Beteiligungskultur.

Das Etablieren einer solchen Beteiligungskultur kann dazu beitragen, Ausgrenzung vorzubeugen, einfach indem darauf geachtet wird, dass jedes Kind dazu gehört. Inklusion braucht diese präventive Seite: Die Verschiedenheit von Kindern und ihren Familien wertschätzen, Zugehörigkeit und Beteiligung aller sichern. Zum Ja zur Beteiligung gehört das ausdrückliche Nein zu Ausgrenzung. Zur Prävention gehört auch Intervention, dann nämlich, wenn es doch zu Herabwürdigung, zu Abwertung und Ausschluss kommt. Die Lehrerin ermöglicht den Kinder genau dieses: Beteiligung und die Auseinandersetzung mit moralischer Positionierung, für Inklusion und gegen Ausgrenzung.