Grußwort Beate Oertel, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Vielen Dank, liebe Frau Wagner, für Ihre Einladung zu Ihrer diesjährigen Fachtagung auf der „Großbaustelle Inklusion“, der ich gern nachgekommen bin. Sie, sehr verehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dieser heutigen Fachtagung der Arbeitsstelle Kinderwelten grüße ich als Vertreterinnen des Bundesfamilienministeriums gleichfalls sehr herzlich.

Beteiligung und Inklusion in der Kindertagesbetreuung, wie stehen sie zueinander? Ist das eine ohne das andere überhaupt möglich? Ist Partizipation Bestandteil von Inklusion? Wie muss Partizipation gestaltet sein, damit Inklusion gelingt? Diesen Fragen wollen Sie heute nachgehen und neue Anregungen in ihre Praxis mitnehmen. Zu diesem spannungsreichen Thema wünsche ich Ihnen einen guten Austausch.

Beteiligung ist ein zentrales, in der UN‐Kinderrechtskonvention verankertes Kinderrecht. Wir haben die gesamtgesellschaftliche Verpflichtung, Kindern und Jugendlichen dieses Recht zu gewähren. Die Bundesregierung hat mit dem Nationalen Aktionsplan für ein Kindergerechtes Deutschland 2005 bis 2010 einen mehrjährigen Diskussions‐ und Aktionsprozess für eine stärkere Wahrnehmung von Kinderrechten und für die Entwicklung von Aktionen aller gesellschaftlichen Partner zu deren Verwirklichung angestoßen. Dieser Prozess fand Ende 2010 mit der Verabschiedung von Leitlinien für das an den Kinderrechten orientierte Handeln aller Akteure seinen vorläufigen Abschluss. Für Sie präsente Beispiele von „Aktionen“ der Bundesregierung in diesem Prozess waren unter anderem

  • die Verankerung des Bildungsaspekts im Förderauftrag der Kindertagesbetreuung mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz 2005 sowie
  • die 2008 erfolgte Verankerung des Rechtsanspruches auf einen Betreuungsplatz ab vollendetem erstem Lebensjahr beginnend ab August 2013. Mit dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz wird das Recht auf Bildung für alle Kinder auch für diese Altersgruppe gewährleistet.

Beteiligung als Kinderrecht war im Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland nicht nur ein umzusetzendes einzelnes Recht. Partizipation war ein durchgängiges Prinzip bei der Erarbeitung des Aktionsplanes, denn am gesamten Arbeitsprozess waren durchgängig Kinder und Jugendliche als Experten in eigener Sache beteiligt.

Eingerichtet war zudem ein Arbeitskreis „Beteiligung“, der sowohl allgemeine Standards für gute Qualität von Beteiligung als auch spezifische Empfehlungen für alle Bildungs‐ und kommunalen Verantwortlichen im Bereich der Kitas, der Schulen, der Jugendarbeit und im Bereich der kommunalen Mitwirkung erarbeitet hat. Sie bilden Handreichungen und Orientierungen, um Beteiligung zu einem durchgängigen Strukturelement von Bildung und gesellschaftlichem Miteinander werden zu lassen.

Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist nicht mal eben schnell zu regeln. Ermöglichung von Beteiligung setzt einen Perspektivwechsel im Verständnis von Bildung und Erziehung und die grundsätzliche Bereitschaft der Erwachsenen voraus, Kindern eigene Gestaltungs‐ und Mitbestimmungsspielräume als Lernfeld einzuräumen. Darüber hinaus bedarf es neuen Wissens und praktischer Erfahrungen über altersgerechte Partizipationsformen, bei denen nicht allein die Heranwachsenden, sondern auch die Erwachsenen – Eltern und pädagogische Fachkräfte, soziales und politisches Umfeld – Lernende sind.

Eine durchgängige Verwirklichung ist daher ein zeitintensiver Prozess, der Auseinandersetzung und „Dranbleiben“ auf allen Ebenen braucht. Die Bundesregierung hat daher aufbauend auf den Ergebnissen des Nationalen Aktionsplanes für eine kindergerechtes Deutschland einen längerfristigen Dialogprozess mit Jugendlichen und allen gesellschaftlichen Partnern gestartet, um eine auf breiter gesellschaftlicher Basis getragene eigenständigen Jugendpolitik zu etablieren. Im Kern geht es dabei um Veränderung gesellschaftlicher Sichtweisen auf die Leistungen und das Mitgestaltungspotential junger Menschen und um Rahmenbedingungen, die sie ihr Leben, ihr Umfeld und ihre Zukunft selbstbestimmt gestalten lassen.

Doch Partizipation muss von Anfang an erfahren und erlernt werden, beginnend in den Familien sowie in Krippe und Kindergarten als erstem außerfamilialen Lern‐ und Bildungsort. Die Berücksichtigung von Partizipation als Schlüssel für Bildung – im Sinne von Bildung als aktiven Aneignungsprozess von Kindern – ist in den pädagogischen Konzepten der Kita‐Träger fest verankert und Teil guter Praxis. Einig ist sich die Fachwelt auch darüber, dass Partizipation zugleich auch Teil von Bildung ist.

Partizipation als Teil sozialer Kommunikationsprozesse, in denen Kinder frühzeitig demokratische Regeln erfahren und lernen. Diesen Prozess früher politischer Bildung zu gestalten und hierbei alle Kinder, un-abhängig von der Vielfalt ihrer Merkmale gleichberechtigt zu beteiligen ist ungleich schwieriger. Ihre rege Teilnahme an der heutigen Tagung der Fachstelle Kinderwelten, sehr geehrte Damen und Herren, zeugt vom großen Bedarf und Interesse an Fortbildung und Austausch.

Und dabei ist uns allen klar: Je besser die Erfahrungen von Kindern sind, dass ihre Meinung gefragt ist und etwas bewirkt, desto aktiver werden sie sich auch künftig einbringen. Desto intensiver ist ihr Erleben von Angenommen‐ und Respektiertsein, ein wichtiger Beziehungsaspekt und eine gute Voraussetzung für die Aufnahmebereitschaft von Bildungsimpulsen. Hier wird deutlich, dass positive Beteiligungserfahrungen zu den Gelingensbedingungen für erfolgreiche Inklusion gehören und zu Recht tragende Pfeiler auf dieser „Baustelle“ sind.

An dieser Stelle möchte ich der Fachstelle Kinderwelten im Auftrag des Bundesfamilienministeriums für Ihr kontinuierliches Engagement bei der Entwicklung des inklusiven Handlungsansatzes vorurteils-bewusster Bildung und Erziehung sowie für Ihre vielfältigen Aktivitäten bei der Praxisimplementierung und Fortbildung herzlich danken. Sie leistet hiermit einen wichtigen Beitrag für mehr Bildungsqualität in der Kindertagesbetreuung für alle Kinder.

Sehr geehrte Teilnehmerinnen und Teilnehmer,

die Weiterentwicklung der Qualität von frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung ist der Bundesregierung im Kontext des U 3‐Betreuungsausbaus besonders wichtig. Neben der finanziellen Unterstützung der Länder und Kommunen beim quantitativen Platzausbau – der Bund trägt ein Drittel der Ausbaukosten ‐investiert sie im Rahmen ihrer Anregungskompetenz in erheblichem Umfang in die Weiterentwicklung der Bildungsqualität. Zentrale Maßnahmen hierbei sind:

  • das Aktionsprogramm Kindertagespflege mit dem Schwerpunkt des Ausbaus auch dieser familiennahen Betreuungsform und der bundesweiten Qualifizierung von Tagespflegepersonen nach einheitlichen Mindeststandards.
  • die Offensive Frühe Chancen, mit dem Ziel der Weiterentwicklung der sprachlichen Bildungsqualität in bundesweit 4000 Schwerpunkt‐Kitas‐Sprache und Integration.
  • das Serviceprogramm „Anschwung für frühe Chancen“, das bis zu 600 regionale Initiativen je bis zu 18 Monate begleitet, die sich der Entwicklung passgerechter Betreuungslösungen sowie der Qualitätsentwicklung des vorhandenen Angebotes widmen wollen.
  • die Förderung der Fachkräftewerbekampagne „Profis für die Kita“ der Gewerkschaften, Berufsverbände und der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege.

Mit der Veröffentlichung des dritten Zwischenberichts zur Evaluation des Betreuungsausbaus nach dem Kinderförderungsgesetz am 30.05.2012 hat sie zugleich ein 10 Punkte‐Programm zur nochmaligen Verstärkung der Ausbauinitiativen verabschiedet. Unter anderem wird sie ein Qualitätsgesetz auf den Weg bringen, das etwa in Form eines bundesweiten „Rahmenbildungsplanes“ verlässliche Qualitätsstandards formuliert. Ziel ist es, bis 2020 wissenschaftlich fundierte qualitative Mindeststandards bundeseinheitlich sicherzustellen.

Damit werden weitere qualitative Entwicklungen im Feld verbindlicher gestaltet. Qualitative Entwicklungen, bei denen Sie heute und hier und bei der weiteren Bearbeitung der „Baustelle Inklusion“ Ihr Rüstzeug für eine gute Bildungspartizipation aller Kinder erweitern wollen. Für dieses Engagement Ihnen allen herzlichen Dank und für die heutige Tagung einen guten Erfolg.