Aliki Beyer (Kita‑Leitung), Anne Kuhnert (Mitarbeiterin Fachstelle KINDERWELTEN), Ute Römer (Kita‑Leitung) und Stefanie Theile (Erzieherin)

Was stellen wir vor?

Das Team des Kinder‑ und Familienzentrums Neue Steinmetzstraße, setzte sich während des Projektes „Inklusion in der Praxis von Krippe und Kita“ hauptsächlich mit dem Schwerpunkt der inklusiven Interaktion zwischen Kind und pädagogischer Fachkraft auseinander und erarbeitete diesen in mehreren Teamsitzungen gemeinsam mit ihrer Praxisbegleiterin Anne Kuhnert. Anhand der Videoaufnahme eines Praxisbeispiels, möchten wir Ihnen das Verständnis einer inklusiven Dialoghaltung des Teams des Kinder‑ und Familienzentrums Neue Steinmetzstraße aufzeigen.

Wie haben wir dies erarbeitet?

Die Qualitätsansprüche aus dem Qualitätshandbuch zur Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung der Fachstelle Kinderwelten bieten für uns sowohl eine Orientierung für unser pädagogisches Handeln als auch für die anschließende Analyse. Wir, als Team der Neuen Steinmetzstraße, sprechen in diesem Zusammenhang von Orientierung und bewusst nicht von einer generellen Maßgabe, da wir unser Handeln und insbesondere unsere Interaktion mit den Kindern nicht als absolut ansehen können und wollen. Ein zu starres Verständnis von der Umsetzung der Qualitätsansprüche, kann unserer Ansicht nach zu einer unflexiblen pädagogischen Praxis führen, bei der die Gefahr von Exklusion besteht. Der Kern unserer Arbeit ist die Orientierung an der Lebenswelt und den besonderen Bedürfnissen der einzelnen Kinder. Zudem sind diese Ansprüche in der pädagogischen Praxis nicht immer absolut umsetzbar und verlangen eine Adaption hinsichtlich der Kinder, Familien und Teammitglieder_innen mit ihren vielfältigen Identitäten und Hintergründen. Anhand einzelner Sequenzen unseres Praxisbeispiels wollen wir ausführen, was, nach Ansicht des Teams der Neuen Steinmetzstraße, eine inklusive Interaktion zwischen Kind und pädagogischer Fachkraft, auszeichnet. Die Sequenzen erfolgen nicht chronologisch. Sie sind nach den Grundsätzen des Handlungsfeldes Interkation mit Kindern, welche den Zielen der Vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung© entsprechen, kategorisiert. Die Protagonist_innen des Videos sind ein Mädchen (2,2 Jahre), ein Junge (3,2 Jahre) und eine pädagogische Fachkraft. Im Vorfeld der folgenden Situation kam es zu einem Konflikt zwischen den beiden Kindern. Die pädagogische Fachkraft unterstützte die Kinder beim Aushandeln des Konfliktes. Die Kinder einigten sich schließlich darauf, dass zunächst das Mädchen und anschließend der Junge schaukeln.

– Gemeinsames Anschauen der Videoaufnahme des Praxisbeispiels –

Analyseergebnisse einzelner Sequenzen des Praxisbeispiels

Im Grundsatz 1, bei dem es um die Stärkung der Ich‑ und Bezugsgruppenidentität der Kinder geht, finden wir folgenden Qualitätsanspruch:1.5. „Pädagogische Fachkräfte stärken das Selbstvertrauen jedes Kindes und sein Wissen über sich selbst.“

1. Situation:

Der Junge gibt dem Mädchen Anschwung. Die pädagogische Fachkraft wendet sich ihm zu und sagt:
„Ich zeig dir mal […], wie ich den Anschwung immer mache.“

Gucken wir nochmal genau auf die Interaktion und seine Feinheiten: Die pädagogische Fachkraft beobachtet die Kinder zunächst aufmerksam, analysiert und entscheidet, bevor sie handelt. Dabei ist ihr Handeln dann nicht regulierend. Anstatt dass sie sagt „So geht das nicht.“ oder „Das ist falsch. Du musst das so machen.“, wendet sie sich dem Jungen zu: „Ich zeig dir mal […], wie ich den Anschwung immer mache.“ Durch diese Aussage erkennt sie die Fähigkeiten des Jungen an und bestärkt ihn darin, dass er und seine Kompetenzen richtig sind, so wie sie sind. Somit bestärkt sie ihn in seiner Ich‑Identität und gleichzeitig zeigt sie ihm, wie sie die Schaukel anschwingt und eröffnet ihm neue Handlungswege.

Zudem ist sich die pädagogische Fachkraft bewusst darüber, dass auch die jüngsten Kinder ein Wissen über sich selbst und ihre Bedürfnisse haben. Dies wird besonders deutlich als sie das Mädchen fragt, ob sie schnell oder langsam schaukeln möchte und ihr die Zeit gibt, die sie braucht, um zu antworten.

Analysegrundlage bietet Grundsatz 1.5. und Kriterium 1.5.1.

2. Situation: (gleicher Qualitätsanspruch!)

Das Mädchen steigt aus der Schaukel hinaus. Anschließend sitzt der Junge in der Schaukel und das Mädchen möchte ihn anschaukeln. Er formuliert klar:
„Ich kann dis schon alleine.“

Auch hier liegt die Qualität der Interaktion im Detail:

Auf die Aussage des Jungen nach Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit reagiert die pädagogische Fachkraft, indem sie ihn direkt anschaut und ihn in seiner Fähigkeit, selbst Anschwung zu holen, bestärkt. Sie sagt zugewandt und ermunternd: „Super!“ Damit erkennt sie seine Kompetenz an und bestärkt ihn auch hier in seiner Ich‑Identität.

Analysegrundlage bietet Grundsatz 1.5 und Kriterium 1.5.1.

3. Situation:

Das Mädchen schaukelt und lacht, während die pädagogische Fachkraft die Schaukel anschwingt. Der Junge schaut ihnen aufmerksam zu.

In dieser Situation wirkt das Mädchen ausgelassen und fröhlich. Der Junge und die pädagogische Fachkraft nehmen ihr Vergnügen und ihre Freude nach außen hin sichtbar wahr und teilen diese mit ihr. Die pädagogische Fachkraft zeigt sich empathisch und signalisiert dem Mädchen ihr Mitgefühl. Sie vermittelt ihr, dass es richtig ist, dass sie ihre Freude und Gefühle ausdrückt. Gleichzeitig bestärkt sie, durch ihr empathisches Verhalten, den Jungen zur Mitfreude. Sie ermutigt die Kinder ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen und bringt ihnen Anerkennung und Wertschätzung als Individuum entgegen.

Analysegrundlage bietet Grundsatz 1 und das Kriterium 1.5.4.

Fasst man die Situationen, die wir Grundsatz 1 zugeordnet haben, zusammen, dann wird Folgendes sichtbar: Die pädagogische Fachkraft bestärkt die Kinder in ihrem Selbstvertrauen und in ihrem Wissen über sich selbst. Sie erkennt ihre Fähigkeiten an, bestärkt sie darin, dass sie richtig sind, so wie sie sind und beteiligt sie an dem Geschehen. Zudem unterstützt die pädagogische Fachkraft die Kinder darin, Dinge selbst auszuprobieren, indem sie detailliert und sachlich ihre Handlungen beschreibt. Sie ist in ihrer Ausdrucksweise nicht regulierend, sondern beschreibt alternative Handlungswege. Sie regt Bildungsprozesse an und stärkt die Kinder in ihrer Ich‑Identität.

Im Grundsatz 2, bei dem es um die respektvolle Auseinandersetzung mit Unterschieden und das aktive Erleben dieser geht, finden wir u. a. folgende Qualitätsansprüche:2.4. „Pädagogische Fachkräfte initiieren die respektvolle Auseinandersetzung mit Unterschieden.“ 2.5. „Pädagogische Fachkräfte schaffen vielfältige Möglichkeiten, damit Kinder Unterschiede aktiv erleben.“

4. Situation:

Der Junge schwingt das Mädchen in der Schaukel an. Die pädagogische Fachkraft, wendet sich ihm zu und sagt:
„Ich mach das so […] oder du machst das so […].“

Bevor die pädagogische Fachkraft den Kindern detaillierte Beschreibungen für ihre unterschiedlichen Handlungsweisen anbietet, macht sie zuallererst auf die Unterschiede ihrer Handlungsweisen aufmerksam ohne diese zu bewerten. Sie erklärt sachlich korrekt verschiedene Möglichkeiten des Anschwung Gebens und nimmt Bezug auf seine Art und Weise des Anschaukelns. Hierbei ist sie nicht regulierend und kritisierend. Sie hält währenddessen stetigen Blickkontakt mit dem Jungen. Durch das detaillierte und beschreibende Erklären ihrer Handlungen regt die pädagogische Fachkraft den Jungen an, es selbst auszuprobieren; ihre Handlungen nachzuahmen.

Analysegrundlage bieten die Grundsätze 2.4 und 2.5 sowie die Kriterien 2.4.8. und 2.5.2.

5. Situation:

In einem Kriterium des Grundsatzes 2 heißt es auch:2.6.1. „Pädagogische Fachkräfte […] stellen Kindern Fragen, regen Vergleiche an und fordern zu genauen Beobachtungen auf.“

Die pädagogische Fachkraft demonstriert dem Jungen, wie sie Anschwung gibt und sagt währenddessen:
„Gucke [ ] und dann zieh ich so.“

Durch ihr Aufzeigen und Vergleichen verschiedener Handlungsmöglichkeiten, ermutigt sie den Jungen zu genauen Beobachtungen. Sie bestärkt ihn, es selbst auszuprobieren, indem sie sagt: „Willst du mal probieren?“

Analysegrundlage bietet das Kriterium 2.6.1.

In den Situationen, die wir Grundsatz 2 zugeordnet haben, ermöglicht die pädagogische Fachkraft den Kindern Vielfalt zu erleben. Sie beschreibt auf respektvolle und nicht regulierende oder kritisierende Art und Weise verschiedene Möglichkeiten des Anschwung Gebens. Sie vergleicht diese und lädt die Kinder durch ihre zugewandte und respektvolle Einstellung und beschreibenden Ausführungen zu genauen Beobachtungen ein.

Im Grundsatz 3, bei dem es um die kritische Auseinandersetzung mit dem Umgang mit Unterschieden geht, finden wir folgenden Qualitätsanspruch:3.4. „Pädagogische Fachkräfte stärken prosoziale Handlungen und Äußerungen von Kindern.“

6. Situation:

Der Junge sagt: „Ich kann auch ganz dolle ziehn.“ Die Fachkraft erwidert: „Wenn C. ausgeschaukelt hat, dann darfst du.“ Das Mädchen streckt die Beine aus der Schaukel. Währenddessen fragt die pädagogische Fachkraft: „Kommst du raus?“ Dann darf jetzt der C.“ Das Mädchen ist aus der Schaukel hinaus geklettert und die Fachkraft sagt:
„Toll, dass du daran gedacht hast.“

Die pädagogische Fachkraft gibt dem Mädchen mit ihrer Aussage eine positive Rückmeldung auf ihr prosoziales Verhalten. Das Mädchen hält sich an die vereinbarte Verabredung, dass der Junge nach ihr schaukelt. Die pädagogische Fachkraft signalisiert ihr, dass es richtig ist, sich an Verabredungen zu halten.

Analysegrundlage bietet das Kriterium 3.4.2.

Konklusion:

Nun haben wir uns einmal die Zeit genommen, eine kurze Alltagssituation, wie sie vielfach im Kita‑Alltag geschehen, im Detail auf ihre inklusive Interaktionsqualität hin zu überprüfen. Wieso macht das grundsätzlich eine inklusive Dialoghaltung der pädagogischen Fachkraft deutlich?

  • Die Fachkraft bestärkt die Kinder in ihrer Ich‑Identität, sie ermöglicht Erfahrungen mit Vielfalt, im Sinne verschiedener Handlungsweisen, und bestätigt die Kinder in ihrem prosozialen Verhalten. Damit ermöglicht sie den Kindern Lern‑ und Bildungsprozesse entlang ihrer eigenen Fähigkeiten.
  • Das Praxisbeispiel zeigt deutlich, dass das Aufwachsen in einer Atmosphäre, die von Anerkennung und Wertschätzung geprägt ist, Auswirkungen auf das eigene Verhalten und somit auch auf die Beziehung der Kinder untereinander hat. Die pädagogische Fachkraft nimmt die Bedürfnisse der Kinder wahr und achtet diese.
  • Doch ein wesentlicher Aspekt in der inklusiven Interaktion wird zusätzlich deutlich:

Nicht immer können wir entsprechend unserer Ideale und Grundhaltung Menschen gegenüber agieren. Manchmal ist unser Handeln aus dem Bauch heraus, also das sogenannte intuitive Handeln, schneller, als unsere Reflexion dessen, was eine angemessene Reaktion wäre. Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel erläutern:

In einer Situation unseres Praxisbeispiels erkennt die Fachkraft, dass sie regulierend agierend wollte. Sie sagt: „Soll ich dir ein“, unterbricht ihren Satz und formuliert ihn neu. Sie reflektiert in der konkreten Situation ihr eigenes Verhalten, korrigiert und passt ihr Handeln sowie ihre Formulierung den Überlegungen an. Diese kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Äußerung setzt ein hohes Maß an Selbst‑ & Praxisreflexion voraus. Die pädagogische Fachkraft zeigt eine wertschätzende und anerkennende Einstellung den Kindern gegenüber. Dies geschieht auf Augenhöhe und ist von einem reflektierten Umgang mit Macht geprägt. Die Kinder werden als gleichwertige Akteur_innen in dieser Situation betrachtet und gestalten diese mit.

Wir, das Team der Neuen Steinmetzstraße, streben durch regelmäßige Reflexion des eigenen pädagogischen Handelns eine inklusive Interaktion an, d. h. adultistische Strukturen abzubauen, Kinder als gleichwertige Partner_innen anzuerkennen und allen Kindern gleiche Bildungschancen zu ermöglichen.

Verstehen wir diese Situation, auch im Sinne von Adultismus, bedeutet dies für Kinder, dass sie wahrnehmen, dass auch Erwachsene Fehler machen und es richtig ist, sich als Erwachsene diese einzugestehen, darüber nachzudenken und das eigene Handeln zu verändern.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!