Gemeinsamkeiten entdecken, innerreligiöse Unterschiede benennen

Der Leipziger Verein Zentrum für Europäische und Orientalische Kultur (ZEOK) ist seit mehreren Jahren im Bereich interkultureller Bildung in Leipzig und Sachsen aktiv, seit 2012 insbesondere zum Thema Religiöse Vielfalt. Wir verstehen Religion als Bestandteil von Kultur und somit als einen von vielen Aspekten, die im Bereich Integration und Interkulturalität eine Rolle spielen. Als ein Merkmal sozialer Identität eines jeden Menschen sind atheistische Hintergründe in diesem Verständnis von Religion inbegriffen. Unser Begriff der Religionsbildung ist inklusiv; „er bedeutet, Wertschätzung für die Familienkultur aller Kinder zu entwickeln, damit jedes Kind in der Einrichtung das Gefühl haben kann: „Hier bin ich richtig.“1 Hierbei geht es auch darum, Dominanzverhältnisse in Bezug auf Religionen bewusst zu machen und dazu beizutragen, dass der religiösen Vielfalt von Familien mit Anerkennung begegnet werden kann.2

Stereotype Bilder hinterfragen

Ziel aller Projektbausteine der Religionsbildung des ZEOK e.V. ist es, diese nicht nur als reine Vermittlung von Informationen über unterschiedliche religiöse Gruppen, deren Haltungen und Normen zu begreifen. Vielmehr werden Methoden und Materialien zusammengestellt, mithilfe derer  einerseits die eigenen Bilder und Wahrnehmungen reflektiert werden können und andererseits religiöse Vielfalt konkret sicht- und erlebbar werden kann. Dabei wollen wir stereotype Bilder und Zuschreibungen vermeiden oder zumindest bewusst machen, welche mit der Kategorie „Religion“ attribuiert werden. Oftmals verleitet die Tatsache, dass alle Religionen Normen und Regeln für die Alltagspraxis der Gläubigen aufstellen, dazu, diese Regeln als alleinige oder entscheidende Beschreibung der Religion zu sehen. Die individuell unterschiedliche Auslegung eben dieser Normen und Regeln, die jeder Mensch auf eine andere Weise vornimmt und gewichtet, füllt jedoch die auf den ersten Blick so einfache Kategorie „religiöse Zugehörigkeit“ mit einer Vielzahl an Möglichkeiten. Eine Darstellung von Religionen, die sich nur an Informationen über religiöse Gebote orientiert, wird den Menschen in ihrem Alltag oft nicht gerecht. Einseitige Bilder im Zusammenhang mit Religionen können sein, wenn nur bestimmte Merkmale der Religionsausübung thematisiert werden, oder wenn nur besonders gläubige Familien dargestellt werden. So kann zum Beispiel der Eindruck entstehen, dass jüdische Jungen immer eine Kippa auf dem Kopf tragen oder dass muslimische Familien grundsätzlich alle Essensregeln einhalten. Natürlich sind diese Merkmale auch richtig und wesentlicher Bestandteil des Lehrinhalts zum Thema Religionen. Gerade im Bereich der Religionsbildung für Kinder finden wir es jedoch hilfreich, wenn die innerreligiöse Vielfalt betont wird und individuelle heterogene Zugänge herausgestellt werden. Sie können dazu beitragen, dass Kinder ein differenziertes Bild von religiös-kulturellen Familienkulturen vermittelt bekommen.

In unserer Ausstellung „Mein Gott, Dein Gott, Kein Gott“ versuchen wir diesen Anspruch umzusetzen, indem wir den Perspektiven verschiedener Kinder Raum geben: Zu jedem Thema, an jeder Wand, kommen jeweils drei Kinder zur Sprache, die in ihren Aussagen unterschiedliche Blickwinkel und Haltungen zu verschiedenen Aspekten religiösen Lebens ausdrücken.

Eine weitere Einseitigkeit im Zusammenhang mit der Darstellung von Religionen fällt uns auf, wenn nicht-christliche Religionen vor allem visuell insbesondere mit außereuropäischen Kontexten attribuiert werden, während hingegen christliche Zugehörigkeit oftmals als Weiß oder einsprachig deutsch wahrgenommen wird. Diese Art von Zuschreibungen grenzen aus und tragen dazu bei, dass Kategorien von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit entwickelt und verstärkt werden. Die Religionsbildung des ZEOK bemüht sich dagegen, Kindern vielfältiges religiöses Leben nicht als etwas Ausgefallenes oder gar Exotisches nahe zu bringen, sondern als einen besonderen Aspekt einer von allen geteilten Lebensrealität vor Ort.

In der Ausstellung werden aus diesem Grund die muslimischen und jüdischen Inhalte durchgehend mit einem regionalen Bezug dargestellt: das Thema Essensregeln wird illustriert mit einem Schulmensatablett bzw. mit einem Foto aus der jüdischen Kindergartengruppe in Leipzig; beim Thema Gebetsorte finden sich ebenfalls Abbildungen aus der Umgebung. Die christliche Religion wird dagegen in ihrer Vielfalt dargestellt: die Mehrsprachigkeit innerhalb der christlichen Gemeinden und die Migrantengemeinden stehen im Vordergrund. 

Familienkulturen anerkennen

Eine wichtige Inspiration unseres Arbeitens ist die Berliner Fachstelle Kinderwelten 3, die didaktische Leitlinien der Anti-Bias-Arbeit in der Arbeit mit kleinen Kindern herausgearbeitet hat. Ein zentraler Punkt in dieser Herangehensweise ist der Anspruch, die individuelle Identitätsentwicklung junger Kinder in Bezug zu ihrer sozialen Identität zu setzen und die unterschiedlichen Bezugsgruppen der Kinder widerzuspiegeln.4  Erzieher_innen sind aufgefordert, Kinder in ihrer Ich- und in ihrer sozialen Identität zu stärken und zudem allen Kindern Erfahrungen mit Vielfalt zu ermöglichen. Dies kann geschehen, indem versucht wird, die unterschiedlichen sozialen Hintergründe der Kinder in Kommunikation und Ausstattung widerzuspiegeln: ihre Sprachen, Familienkulturen, Hautfarben, sozialer Status, Beeinträchtigungen, Familienkonstellationen, … und Religionen.5

Erzieher_innen können dafür sorgen, dass Familien sich anerkannt fühlen und auf dieser Basis ihre Erfahrungen mit ihrer eigenen religiösen Zugehörigkeit teilen. Eine Möglichkeit, wie dies gelingen kann, ist,  im Alltag der Kita oder Grundschule den eigenen Jahresrhythmus zu reflektieren.

In vielen Fällen folgt das Kindergarten- oder Schuljahr thematisch dem christlichen Kirchenjahr: es gibt Advents-und Weihnachtsbasteln, Osterdekoration oder Erntedank – unabhängig von der eigenen religiösen Überzeugung, unabhängig davon, ob die Einrichtung sich als christlich oder säkular versteht.

Hier kann man sich fragen: Welche weiteren Jahresrhythmen sind für die Kinder in meiner Einrichtung von Bedeutung? Wie kann ich in Erfahrung bringen, was die religiöse Familienkultur der Kinder ausmacht? Werden Bastelangebote gemacht, die unterschiedliche religiöse Familienkulturen ansprechen? Wird aus Anlass verschiedener Feste zum Elterncafé eingeladen?

Wenn vor allem nicht-religiöse Kinder in meiner Einrichtung sind: Welche Materialien und Bücher laden Kinder zu vielfältigen Perspektiven ein? Können Kinder Erfahrungen mit anderen religiösen Familienkulturen machen, mit Menschen, die einem anderen religiösen oder atheistischen Hintergrund angehören als sie selbst? Mithilfe geeigneter Aktivitäten können Kinder so Erfahrungen mit Vielfalt erleben, die ihnen helfen, ihre Vorstellungen von „normal“ zu erweitern und ein reichhaltiges Verständnis unterschiedlicher Lebenspraxis und Lebensbezüge zu erhalten.

Ziel der Ausstellung „MeinGott, Dein Gott, Kein Gott“ ist es, die religiös-kulturelle Familienkulturen von Kindern und Eltern sichtbar zu machen und eine Willkommenskultur zu unterstützen, die der Vielfalt mit Anerkennung begegnet. Die Ausstellung kann einzelne Schulen und Horte ermutigen, diese Impulse aufzunehmen und daran weiterzuarbeiten.

Kontakt:
Zentrum für Europäische und Orientalische Kultur (ZEOK) e.V.
Heinrichstraße 9
04317 Leipzig
Info@zeok.de
www.zeok.de
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1  Dommel, Christa: „Religion und religiöse Unterschiede als Weltwissen der Kinder in Kindertageseinrichtungen“, in: Klöcker, Michael/ Tworuschka, Udo: Handbuch der Religionen, EL 2008.

2 Wegweisend nehmen wir dazu die Arbeiten der Berliner Fachstelle Kinderwelten wahr, die das Konzept des aus der Antidiskriminierungspädagogik rührenden Anti-Bias-Ansatzes für den Kontext der Frühpädagogik in Deutschland fruchtbar gemacht hat und als „Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung©“ weiterentwickelt.

3 Fachstelle Kinderwelten für Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung (www.kinderwelten.net), Institut für den Situationsansatz (ISTA)/ Internationale Akademie  Berlin (INA) gGmbH, www.situationsansatz.de

4 Wagner, Petra/ Hahn, Stefani/ Enßlin, Ute: Macker, Zicke, Trampeltier… Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen. Handbuch für die Fortbildung. Weimar/ Berlin, 2006, S. 19ff. – Im Weiteren geht es darum, Dominanzverhältnisse aufzuzeigen und aktiv gegen Diskriminierungen vorzugehen; Ebd.

5 Quelle und Inspiration dieser und der folgenden didaktischen Überlegungen: Ebd.

Literaturverzeichnis:

Dommel, Christa: „Religion und religiöse Unterschiede als Weltwissen der Kinder in Kindertageseinrichtungen“, in: Klöcker, Michael/ Tworuschka, Udo: Handbuch der ReligionenEL 2008, I-15.

Wagner, Petra/ Hahn, Stefani/ Enßlin,Ute: Macker, Zicke, Trampeltier… Vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung in Kindertageseinrichtungen. Handbuch für die Fortbildung. Weimar/ Berlin, 2006.