Workshop-Bericht von Brigitte Schumann | Bildungsjournalistin & Publizistin

Im Zentrum des Workshops stand die Frage, wie das Schulsystem aus der Armut an Grundschulkindern „Behinderung“ erzeugt.

Um deutlich zu machen, dass die diskriminierenden Effekte von Armut schon vor Eintritt in die Grundschule den Entwicklungsabstand zwischen armen und privilegierten Kindern erklären, wurden Daten von ZEFIR (Zentrum für Interdisziplinäre Regionalforschung) an der Ruhr-Universität Bochum herangezogen. Dabei war es auch das Ziel zu zeigen, dass in den ersten drei Jahren die besten Möglichkeiten bestehen, durch frühkindliche Bildung die Folgen von Kinderarmut zu minimieren bzw. zu kompensieren.

Nachfolgend wurden die institutionellen Faktoren, die zur Diskriminierung von armen Kindern in der Grundschule beitragen, herausgestellt. Sie lassen sich unter dem Stichwort „Gleichbehandlung von Ungleichen“ (Leistungserwartung und Leistungsbewertung) zusammenfassen. Es wurde gezeigt, dass die daraus resultierenden Leistungs- und Lernrückstände als Defizit des Kindes interpretiert und mit der sonderpädagogischen Diagnose der „Lernbehinderung“ individualisiert werden, während die Mängel des Systems dahinter ebenso verschwinden wie die Armut des Kindes.

Es wurde ausführlich thematisiert, dass mit der Kategorie der „Lernbehinderung“ die im Nationalsozialismus von der Sonderpädagogik eingeführte Kategorie der „Hilfsschulbedürftigkeit“ heute noch fortgeführt wird. Sie ist unbestimmt, an kein wissenschaftliches Kriterium gebunden und von Willkürlichkeit und Zufälligkeit behaftet, wie die unterschiedlichen sonderpädagogischen Förderquoten in den Bundesländern belegen. Auch in „inklusiven Zeiten“ lernen bundesweit immer noch die meisten Kinder mit dieser unhaltbaren geschichtsbelasteten Diagnose in Sonderschulen.

Im letzten Schritt wurde dargestellt, dass die Bildungspolitik in erheblicher und mehrfacher Weise gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt. Zudem wird durch den konventionswidrigen Ausbau des Doppelsystems von sonderpädagogischer Förderung in Regel- und kostspieligen Sonderschulen die Ressourcenknappheit in den Regelschulen herbeigeführt.

Im Anschluss an den Vortrag wurde aus professioneller Perspektive von den Teilnehmenden sehr intensiv die politisch herbeigeführte Dilemmasituation von Eltern diskutiert, die angesichts der Ausstattungsproblematik an den Regelschulen sich gegen das Recht ihres Kindes auf inklusive Bildung entscheiden, weil sie befürchten, dass ihr Kind zu kurz kommen könnte. Die Tendenz in der Diskussion ging dahin, die Eltern in dem Recht des Kindes auf inklusive Bildung zu bestärken, da die Sonderschule mit ihren aussondernden negativen Effekten keine Alternative darstellt.